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Newsletter n°1: Bericht von Kathleen Bühler

NEWSLETTER 1
Fieldwork in Bielvom 20.–26. November 2016

Die Vorarbeiten für die«Robert Walser-Skulptur» von Thomas Hirschhorn beginnen. Am Anfangstehen die Recherchen zu Ort und Personen, welche Thomas Hirschhorn‚Fieldwork’, also Feldforschung nennt. Dabei geht es darum, Bieler und Bielerinnen über sein künstlerischesVorhaben zu informieren und herauszufinden, was in und um Biel herum passiert, das irgendwiemit Robert Walser, seinem Leben und den Themen in seinem Werk zu tun haben könnte. AlsKuratorin habe ich ihn begleitet.
Nach ersten Forschungstagen im Juli 2016, welche ganz den Orten gewidmet waren,an denen Robert Walser gelebt und gewirkt hat, ging es in der vergangenen ‚Fieldwork’(Feldforschung) vom20.-26.11.16 um das kulturelle, wirtschaftliche und soziale ‚Feld’Biel. Da die von Thomas Hirschhorn geplante «Robert Walser-Skulptur» mit den Bielerinnen und Bielern realisiert werden soll, ging esdarum einerseits möglichst viele Bielerinnen und Bieler über die Pläne und Ideen Hirschhorns zuinformieren und andererseits herauszufinden, was in und um Biel herum passiert, was den Künstlerinteressieren könnte. Was sind die Ereignisse und Initiativen in Biel, welche im weiteren Umfeld von Robert Walsers Lebens-und Werkthemen stattfinden? Oder kürzerausgedrückt, wo sind die Spurender ‚walserischen Momente’im Bielerischen Alltag? Wichtig ist hier, zuverstehen, dass es bei der «Robert Walser-Skulptur» von Thomas Hirschhorn nicht darum geht, brav kulturhistorischeMomente abzuhaken, sondern Robert Walser neu zu denken, von seiner Randständigkeit,Erfolglosigkeitundunspektakulären Sicht auf die Dinge, her.

 

Aufbau des Netzwerks

Die«Robert Walser-Skulptur»wird im Sommer 2018 ein organisches Netz von Begegnungsorten undEreignissen sein, welche alle zusammen genommen eine Hommage an Robert Walser(1878–1956)darstellen: einem Schriftsteller und Dichter, dem während seiner Lebzeiten kein Erfolg beschiedenwar und der sich in den letzten 27 Jahren seines Lebens, die er in einer psychiatrischen Anstaltverbrachte, weigerte, weiter zu schreiben. Erst nach seinemTod wurde seinSchaffen berühmt undbekameseinen Platz unter den weltweit bedeutenden Romanen und Prosatexten. Für ThomasHirschhorn ist Walsers Schweigen eine‚radikale künstlerische Geste der Verweigerung’, eine Haltung,die Robert Walser zum selbstbestimmten Aussenseiter kürt. Nicht zum Opfer, das von den anderenausgegrenzt wird, sondern zum Künstler, dersichKraft seiner andersartigen Wahrnehmung derDinge eh schon am Rande der Allgemeinheitbefindetund dessen Werke aus dieser Wahrnehmungheraus entstehen.Deshalb steht die ‚Skulptur’ unter dem Motto«Bea hero, be anoutsider, beRobert Walser!»,welchesThomas Hirschhorndem brasilianischen Künstler Hélio Oiticica(1937–1980)entlehntund erweiterthat.

 

Erfahrungen am Rande

Unsere Aufgabe bei der Feldforschung war, die Ränder in Biel zu besuchen und dort Menschenkennenzulernen, mit denen wir vielleicht kooperierenkönnen. Wir waren beim Sozialamt, beiGassenarbeiter/innen, bei der Heilsarmee, bei der Kirche, bei Jugendtreffs, bei Integrationsinitiativenund in einer Sprachschule für Migrant/innen. Wir habendie psychiatrische Klinik inBellelay besucht,weil Walserdort oft seine Schweizer,die Lehrerin war, zu besuchen.Wir waren in Migrantenvereinenund tranken Kaffee mit Asylant/innen, sprachen mit einem Sans-Papiers und waren beiKünstler/innen zu Gast. Wir hielten jedoch auch die Augen für Leute offen, welche Spaziergängedurchführen könnten–Robert Walser war ein passionierter Spaziergängerund nächstes Jahr feiertdieErzählung ‚Der Spaziergang’sein hundertjähriges Jubiläum–oder bereit wären, täglich etwas aus Walsers Werk in Deutsch oder Französisch vorzulesen. Wir machten uns ein Bild über dieTheaterszene in Bielüber die Tätigkeit des Literaturinstituts, der Robert Walser-Preises und des Robert Walser-Zentrums, mit dem wir schon intensiv in Person von Reto Sorg zusammenarbeiten.Von den verschiedensten Seiten her stiessen wir in Gesprächenin die Materie sowie die möglichenVerbindungen untereinandervor, damit mit der Zeit die Konturen des mehrschichtigen ‚Feldes’füruns sichtbar werden.

 

Kuratorische Aufgabe

Meine Rolle als Kuratorin isthierbeidiejenige einer ‚teilnehmenden Beobachterin’. Anders als bei derAusstellungskonzeption in einem Kunstmuseum, geht esnicht darum,bestehende Werkeauszuwählen oder mit Künstlern und Künstlerinnen einen Beitrag zu einer thematischenGruppenausstellung zu besprechen, bei der ich das Bild der Ausstellung schon ziemlich genau im Kopfhabe, sondern ich begleite den Künstlerbei seiner Recherche undbei der Entwicklung seinerWerkidee im intensiven Austausch mit allen Gesprächspartner/innen.Dabei stehe ich ihm alskritisches Gegenüber zur Seite und ergänze seine Beobachtungen mit meinen.Das ist ein Arbeitenausserhalb der ‚Komfortzone’:weg vom Schreibtisch, rein ins Leben. Nächstes Mal, im März 2017,sind wir wieder unterwegs.

 

Kathleen Bühler, 30.11.2016

 

Bildergalerie
Fotos:© Enrique Muñoz García